Constructive Alignment

Grundlagen des E-Learning

Letztes Update: 28. Januar 2021

Nach der Schule habe ich angefangen Englisch zu studieren. Warum kann ich gar nicht mehr so richtig sagen. Vielleicht, da ich vorher ein halbes Jahr in Neuseeland war und dachte, ich könnte Englisch sprechen. Ich kann mich allerdings sehr gut an den Zeitpunkt erinnern als ich mich entschieden habe, das Englischstudium abzubrechen. Es war die Klausur zum Thema Einführung in die Literaturwissenschaft. Ich hatte mich gewissenhaft auf die Prüfung vorbereitet, war bereit meine Kenntnisse auf Papier zu bringen und dann sollte ich folgende Frage beantworten: "Vervollständigen Sie die Namen folgender Autoren ... Charles ___". DICKENS natürlich! Solch billige Fragen? Hätte mir jemand gesagt, dass solche Fragen gestellt werden, hätte ich mich ganz anders auf die Klausur vorbereitet. Mir hätten Karteikarten genügt, auf denen die Autoren und deren Werke notiert gewesen wären. Ich war desillusioniert und fortan entschlossen das Problem von innen zu lösen. Ab dem folgenden Semester war ich ein Student der Lehr- und Lernforschung.

Im Nachhinein weiß ich, dass das Problem darin bestand, dass meine Erwartungshaltung an die Prüfung falsch war. Ich kann mir allerdings keinen Vorwurf machen, da die Dozentin in der Bringschuld war, uns zu sagen, wie sie prüft, damit wir uns richtig vorbereiten können. Später ist mir dieses Problem noch mehrmals in anderer Form begegnet. Jahre später saß ich in einem Seminar, in welchem der Dozent von der ersten Minute des Seminars einen inhaltlichen Vortrag hielt und ab da nicht mehr aufhörte zu dozieren. Vorträge können an sich ganz wunderbar sein, wenn sie gut gemacht sind. Das Problem war nur, dass ich nie richtig verstand, was er uns beibringen möchte. Er teilte uns nie die Themen der nächsten Wochen mit und tat nie kund, was wir in dem Seminar lernen sollten. Diesmal lag das Problem jedoch darin, dass ich nicht wusste, was ich aus seinen Vorträgen lernen sollte. Es gab sozusagen eine Fehlanpassung zwischen seinen Zielen und seinen Lehrmethoden. Und auch ich bin nicht frei von Schuld. In einem meiner Seminare habe ich den Studierenden im Syllabus einmal hochtrabende Lernziele versprochen. In der Realität ließ ich die Studierenden Vorträge halten und vergaß ab Woche zwei, was ich eigentlich lehren wollte. Die Fehlanpassung lag zwischen meinen Zielen und meinen Lehrmethoden.

Ich könnte noch viele dieser Geschichten erzählen. Alle leiden an einem Problem. Es gibt eine Fehlanpassung zwischen den Lernzielen, den Lehr- und Lernmethoden und der Prüfungsmethode in einer Lehrveranstaltung. Meine Englischdozentin hatte eine Fehlanpassung, da sie die Prüfungsform nie erklärt hat. Der Dozent, indem seine Lehrmethoden mit den Zielen nicht vereinbar waren. Ich, indem meine Lernziele nicht mit meinen Lehrmethoden zusammen passten. Im Verlaufe der Jahre sind mir diese Probleme so häufig begegnet, dass ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass es eines der zentralsten Probleme in der Gestaltung von Unterricht ist. Als Student hat dieses Problems einen Namen bekommen: Constructive Alignment.

Constructive Alignment

Constructive Alignment ist ein Kind der Idee der sogenannten Outcome-Based Education (OBE). Nach dieser Idee ist Lehre dann erfolgreich, wenn bestimmte Ziele (outcomes) erreicht werden. Der Job einer Lehrkraft ist es, eine Umgebung zu schaffen, in der diese Ziele erreicht werden können. Nehmen wir ein Beispiel. In Deutschland gibt es spätestens seit den 90er Jahren Bildungsstandards. Die Bildungsstandards geben nicht mehr die Inhalte für die Lehre vor, sondern Kompetenzen, welche Schülerinnen und Schüler erreichen sollen. In etwa so wie ein Backrezept. Uns interessiert nicht, was in den Kuchen rein kommt (Input), sondern was für ein Kuchen später raus kommt (Outcome). Die von der Kultusministerkonferenz vorgegebenen Kompetenzen sind allerdings nur eine Form einer Zielvorgabe. Lernziele, welche hierarchisch niederschwelligere Ziele vorgeben sind ebenso eine Form der Outcome-Based Education. Entscheidend ist, dass überhaupt Ziele definiert und kommuniziert werden.

Das Gegenstück zu Outcome-Based Education ist eine normbasierte Bildung. Ein E-Learning Kurs der nach dieser Idee aufgebaut ist, prüft nicht anhand einer Zielvorgabe, sondern anhand des sozialen Vergleichs der Lernenden innerhalb eines Kurses. Als Folge können zwei Lernende mit der gleichen Leistung in einem Test unterschiedliche Punkte in einem Kurs erhalten. Es hängt davon ab, wie stark der Kurs ist, nicht wo man im Vergleich zu einem festgelegten Kriterium steht.

Die meisten E-Learning Kurse folgen der Outcome-Based Education, indem sie Lernenden Lernziele vorgeben, welche durch den Kurs erreicht werden sollen. Nehmen wir den Kurs Product Manager von Udacity. Lernende in diesem Programm sollen folgende Ziele erreichen:

"You will learn how to define product strategy and KPIs based on market analysis, pitch a product vision to get stakeholder buy-in, and design a user-centered prototype that adheres to engineering constraints. Then, you will develop an execution timeline that handles competing priorities, communicate a product roadmap that builds consensus amongst internal stakeholders, and create a comprehensive go-to-market plan based on product KPIs. Finally, once launching a product into the market, you’ll learn how to build tests to enhance product features based on market data."

Achte auf die Verben: Lernende werden etwas definieren können, etwas entwickeln, etwas kreieren und etwas präsentieren. Diese Verben können Lehrkräfte beobachten. Ist eine Beobachtung nicht möglich, ist es Lehrkräften unmöglich, die Erreichung dieser Ziele zu prüfen. Zum Vergleich: Der Kurs The Science of Everyday Thinking von edX formuliert seine Ziele wie folgt:

"We will provide tools for how to think independently, how to be skeptical, and how to value data over personal experience. We will examine the mental shortcuts that people use and misuse, and apply this knowledge to help make better decisions, and improve critical thinking."

Die Ziele orientieren sich an der Frage, was die Lehrkräfte mit den Lernenden machen, nicht daran, was die Lernenden später können sollen. Beispielsweise untersucht man in dem Kurs etwas. Dies ist jedoch kein Ziel, sondern eine Tätigkeitbeschreibung. Es handelt sich um Ziele, die nicht prüfbar sind. Nicht jedes Ziel ist daher gleich.

Und nicht jedem Ziel wird konsequent nachgegangen. Wer schon einmal die Leitbilder verschiedener Organisationen gelesen hat, weiß, dass diese - sind wir ehrlich - nicht immer gelebt werden. Genauso können Lernziele in E-Learning Kursen schnell zu Datenleichen werden. Wir als EntwicklerInnen von E-Learning Kursen müssen uns daher immer wieder vor Augen halten, welche Ziele wir mit einem Kurs haben. Unser Ziel sollte es sein, alle Lernenden abzuholen und dass sie den komplexen Lernstoff durchdringen. Nur, das bringt uns zum nächsten Problem. Nicht alle Lernende in E-Learning Kursen haben diesen inneren Antrieb zu lernen. Stellen wir uns beispielsweise zwei Lernende vor, Robert und Susan (siehe Biggs, 2007 für eine ausführliche Darstellung). Susan ist intrinsisch motiviert und ist in der Lage auch in einem didaktisch schwach gestaltetem E-Learning Kurs das Maximale heraus zu holen. Sie hat hohe selbstregulatorische Fähigkeiten und ist nach ihrem Interesse geleitet. Robert nicht. Er möchte vor allem eine Qualifikation für einen späteren Job erwerben. Als Folge versucht er mit minimalem Aufwand das Maximale aus seinen Kursen heraus zu holen. Robert wird daher eher passiv lernen und oberflächliche Lernstrategien (z.B., Erinnern, Notizen schreiben) verwenden, während Susan sehr aktiv lernt und tiefe Lernstrategien ausführen wird (z.B. Anwenden, Verbinden). Wir könnten jetzt sagen, Robert ist demotiviert und es dabei belassen. Was wäre allerdings damit gewonnen? Wir möchten doch eher versuchen Robert auf das Niveau von Susan zu bringen. Das Problem besteht allerdings darin, dass das Lernverhalten von Robert sehr stark daran gekoppelt ist, wie das Wissen in den Kursen geprüft wird. Nutzt ein Kurs einfache Single-Choice Aufgaben, die mit einer einfachen Suche gelöst werden können, wird Robert nicht viel lernen. Marton und Säljö (1976) sprechen bei einem solchen Lernverhalten von einem Surface Approach. Sie meinen damit, dass Robert nur das Minimalste tut, um einen Kurs zu bestehen. Es gibt mehrere Gründe für einen solchen Ansatz. Lernende haben nicht genügend Zeit, die Inhalte zu verstehen, die vorgegebenen Ziele unterstützen einen Surface Approach, da sie lediglich Fakten abfragen oder die Vorgaben für das Erreichen eines Zieles sind von den Lehrkräften nicht umfassend genug kommuniziert worden (z.B.: "Ihr müsst das halt lernen"). Susan wiederum hat einen Deep Approach, da sie sich die Inhalte selbstreguliert aneignet und diese auf das kleinste Detail verstehen möchte. Deep Approach benötigt ein gewisses Maß an Vorwissen und eine Präferenz dafür, das Große und Ganze mitsamt den kleinen Details zu lernen. Es gibt drei Wege mit Lernenden wie Robert umzugehen. Das erste Modell heißt Blame Model. In diesem Modell unterteilen wir Lernende in gute und schlechte Lernende. Prüfungen wie eine Klausur dienen dazu, diese voneinander zu unterscheiden. Dieses Modell ist im rechten Sinne nicht didaktisch, da wir die Schuld den Lernenden geben und uns keine Gedanken darüber machen, wie wir die Lernenden in ihrem Lernen fördern können. Das zweite Modell nennen wir Teacher Model. In diesem Modell akzeptieren wir, dass Lernende gefördert werden können, orientieren uns allerdings an der Frage, was die Lehrenden tun sollten. Wir gehen davon aus, dass es effektive und weniger effektive Arten gibt zu unterrichten. Dieses Modell ist didaktischer als das Blame Model, es ignoriert allerdings den Kontext und damit die Lernenden. Die zu Grunde liegende Metapher des Lernens ist die Vermittlung und nicht die Konstruktion von Wissen. Im dritten Modell, dem Student Model fragen sich Lehrende, was die Lernenden machen müssen, um die vorgegebenen Ziele zu lernen. Dies ist die didaktischste Sichtweise, da sie berücksichtigt, was Lernende bereits wissen und welche Aktivitäten notwendig sind, um Lernende zu fördern. Und damit kommen wir zurück zur Outcome-Based Education. John Biggs formuliert die Idee wie folgt: "Good teaching is getting most students to use the level of cognitive processes needed to achieve the intended outcomes that the more academic students use spontaneously." (Biggs, 2007, S. 11) . In diesem Sinne ist die Aufgabe von Instructional DesignernInnen alle Lernenden abzuholen, auch die, die von sich aus recht oberflächlich lernen. Es hilft also nicht, Robert die Schuld zuzuschieben.

So sehr wir uns das wünschen, die wenigsten Lernenden in E-Learning Kursen sind Susans. Viele sind Roberts. Das ist keine böse Unterstellung, sondern ergibt sich aus der Überlegung wer E-Learning Kurse besucht. In der Wirtschaft werden E-Learning Kurse umfassend eingesetzt, um die eigene Belegschaft weiterzubilden. MitarbeiterInnen haben allerdings häufig wenig Zeit, diese Kurse während ihrer Arbeitszeit zu absolvieren. Sie fühlen sich daher genötigt, die Kurse schnell "durchzuarbeiten". Für andere Lernende stehen die Zertifikate von E-Learning Kursen im Fokus. Nehmen wir Lernende, die neben ihrer Arbeit einen Fernstudiengang besuchen. Der Masterabschluss ist für diese Lernende ein Türöffner für größere berufliche Chancen. Als Folge ist das erste Ziel solcher Lernenden der Abschluss und etwas nachrangig dahinter die Qualifikationen aus diesen Studiengängen.

Wir müssen daher zwei Probleme lösen. Wir müssen einerseits Lernziele definieren und diese bei der Entwicklung eines Kurses im Auge behalten. Wir müssen ebenso sicher stellen, dass auch Lernende wie Robert diese Ziele erreichen. Und die Lösung für beide Probleme ist die Idee des Constructive Alignment von John Biggs.

Nach der Idee des Constructive Alignment hat jeder Kurs drei Komponenten: Die Lernziele, die Lehr- und Lernmethoden und die Prüfungsmethoden. Constructive Alignment ist gegeben, wenn diese drei Komponenten eng miteinander verzahnt sind (alignment) und die Lernziele taxonomisch hoch eingeordnet sind (constructive). Durch die maximale Verzahnung der drei Komponenten erreichen wir, dass wir alle Lernende in einem Kurs mitnehmen. Nehmen wir folgenden Kurs als Beispiel: Simon Schockens und Noam Nisan sind zwei israelische Informatiker, welche das Buch The Elements of Computing Systems geschrieben haben. Das Buch wurde mittlerweile als E-Learning Kurs adaptiert und auf Coursera veröffentlicht. Die Idee des Kurses ist sehr simpel. Lernende sind durch den Kurs in der Lage einen vollständigen Computer zu bauen. Beachte, wie einfach und zugleich komplex dieses Ziel ist. Ein Computer hat viele Elemente. Es benötigt ein Betriebssystem, Kompiler, Software und natürlich Logikgatter als Grundprinzip der Architektur eines jeden PCs. Dieses Ziel ist zugleich eng verzahnt mit den Prüfungsmethoden des Kurses. Die Lernenden zeigen, dass sie verschiedene Elemente eines PCs bauen können, indem sie in einer Simulationsumgebung arbeiten, welche prüft, ob der Computer funktionstüchtig ist. Die Prüfungsmethoden spiegeln daher das vorgegebene Ziel exakt wieder: Lernende bauen einen Computer und der Kurs prüft, ob die Lernenden den Computer bauen können. Ebenso achtet der Kurs darauf, dass die Lernziele mit den Lehr- und Lernmethoden verbunden sind. In den Lehr- und Lernmethoden erhalten die Lernenden genau die Informationen, welche sich durch die Ziele ergeben. Im dritten Modul des Kurses beispielsweise lernt man, wie ein Arbeitsspeicher aufgebaut ist. Diese Inhalte sind mit den Zielen verzahnt, da diese Informationen nötig sind, um einen Teil des Computers zu bauen. Zugleich sind diese Lehr- und Lernmethoden mit den Prüfungsmethoden verzahnt, da diese Inhalte von Nöten sind, das jeweilige Projekt abzuschließend. Der Kurs hat daher alle drei Komponenten eines Kurses optimal verzahnt. Ein Robert würde in diesem Kurs nicht in der Lage sein, oberflächlich zu lernen. Er wird die Projekte umsetzen müssen und schafft dies nur, wenn er die Inhalte konzentriert durcharbeitet. Der Lösungsraum für die Projekte ist zugleich so komplex, dass er die Antworten nirgends nachschlagen kann.

Vielleicht denkst du, dass diese Idee trivial ist. Natürlich sollte man prüfen, was man als Ziel vorgibt. Natürlich sollte man die Inhalte nach den Zielen auswählen. Dass es nicht trivial ist, zeigt uns ein Blick auf eine Vielzahl an E-Learning Kursen. Die klassischste Struktur eines MOOCs ist folgende: Lernende sehen zu Beginn eines Kurses eine Reihe an Lernzielen. Der Kurs ist modular aufgebaut und besteht vorwiegend aus Videos und Single-Choice Aufgaben. Am Ende eines jeden Moduls gibt es ein Quiz in der Form mehrerer Single-Choice Fragen. Nun stellen wir uns vor, dass tausende Kurse diese Struktur haben. Nicht für jedes Ziel eignen sich allerdings Single-Choice Aufgaben als Prüfungsform. Der Kurs von Simon Schockens und Noam Nisan wäre ungleich schlechter, würden am Ende eines jeden Moduls 10 Single-Choice Fragen zu den Teilen der Computerkomponente erfragt. Roger hätte plötzlich ein Schlupfloch. Aus einer Reihe an Daten wissen wir auch, dass viele Lernende Kurse opportunistisch durcharbeiten. Lernende betrachten in E-Learning Produkten beispielsweise lang nicht alle Videos, beantworten nicht alle Fragen und lesen nicht alle Texte. Guo, Kim und Rubin (2014) zeigten in einer der größten Untersuchungen über instruktionale Videos, dass Lernende in Online-Kursen bis zu 22% des Kursinhalts überspringen. Nicht nur das, sie navigieren nicht linear durch den Kurs, sondern springen in ganz unterschiedlichen Arten durch die Lektionen, häufig zu Modulen, die sie bereits angeschaut haben. Am häufigsten springen Lernende von einer Prüfung zurück zu den Lerninhalten. Wir können dies so interpretieren: Lernende orientieren ihr Lernverhalten vorwiegend an den Prüfungsmethoden. Sie versuchen die an sie gestellten Aufgaben so effizient wie möglich zu lösen. Ähnliches gilt für Videos. Guo und Reinecke (2014) untersuchten 862 Videos, welche insgesamt 6,9 Millionen Mal angeschaut wurden. Die Videos stammen aus vier Kursen der Online-Plattform edX. Ein zentraler Befund aus der Studie war, dass Lernende Videos selten länger als sechs Minuten ansehen. Je länger Videos sind, desto früher brechen sie die Videos prozentual ab. Nicht nur das, je kürzer die Videos waren, desto wahrscheinlicher lösten die Lernenden danach anschließende Aufgaben. Ähnliche Ergebnisse fanden Kim et al. (2014). Nach 15 Minuten beispielsweise sind bereits in etwa 60% der Lernenden abgesprungen. Nach 30 Minuten sind es gar 80% der Lernenden. Beim zweiten Betrachten von Videos ist dieser Trend noch stärker. Bereits nach 5 Minuten sind in etwa 70% der Lernende abgesprungen, nach 10 Minuten sind es bereits 80%. Der Schluss bleibt der gleiche: Lernende folgen nicht unserem Plan als E-Learning EntwicklerInnen, sie sind selektiv und scheren sich nicht darum, welchen Plan wir mit der Konzeption eines E-Learning Kurses hatten. Wir bringen Lernende allerdings dazu die Lehr- und Lernmethoden intensiv durchzuarbeiten, wenn wir die Prüfungsformen mit den Lehr- und Lernmethoden verzahnen. John Biggs formuliert diese Lösung wie folgt: "We teachers might see the intended learning outcomes as the central pillar in an aligned teaching system, but our students see otherwise: ‘From our students’ point of view, assessment always defines the actual curriculum’ (Ramsden 1992: 187)." (Biggs, 2007, S. 169) . Ein weiterer Grund, dass Constructive Alignment häufig nicht umgesetzt ist, ist, dass die Lernziele in E-Learning Kursen eine Verquickung von Werbesprüchen und Lernzielen sind. Einerseits sollen Lernende überzeugt werden, den Kurs zu belegen, andererseits sollen die Ziele kommunizieren, was in dem Kurs gelernt wird. Als Folge sind die Ziele häufig zu hoffnungsvoll und spiegeln sich nicht in den Lehr-, Lern- und Prüfungsmethoden wider. Constructive Alignment ist daher eine Idee, welche im E-Learning häufig stiefmütterlich behandelt wird.

Constructive Alignment ist im E-Learning besonders wichtig

Constructive Alignment ist keine Idee des E-Learning. Jeder Kurs profitiert davon, wenn Ziele, Lehr- und Lernmethoden und Prüfungsformen aufeinander abgestimmt werden. Constructive Alignment ist in E-Learning Kursen allerdings wichtiger als für Präsenzformate. Aus zwei Gründen.

Zunächst werden E-Learning Kurse in der Regel für mehr Personen entwickelt als Präsenzveranstaltungen. Der große Vorteil von E-Learning ist die Skalierbarkeit der Kurse. Ob 100 oder 1000 Personen einen Kurs besuchen macht einen enormen Unterschied für Präsenzveranstaltungen, weniger allerdings für E-Learning Kursen. In kleineren Kursen können wir Probleme und Fehler daher schneller "korrigieren". Stell dir vor eine Dozentin stellt während einer Präsenzveranstaltung fest, dass Lernende von einem anderen Workshopkonzept mehr profitieren würden. Dieses Konzept zu ändern kostet zwar Zeit und Energie, allerdings ist es möglich und kann an die Lernenden kommuniziert werden. In einem E-Learning Kurs ist die Situation meistens anders. Zunächst ist es kaum möglich nach der Fertigstellung des Kurses Inhalte zu ändern. Eine Änderung würde bedeuten, dass sich Instructional DesignerInnen, DesignerInnen und EntwicklerInnen erneut zusammen finden und gemeinsam an den Änderungen arbeiten müssten. Das ist eine enormer Kostenaufwand. Hinzu kommt, dass das Produkt - wenn es von einer Agentur entwickelt wurde - bereits verrechnet wurde und ein neuer Auftrag aufgesetzt werden müsste. Ein weiteres Problem ist die Kommunikation dieser Änderungen. In einer kleinen Präsenzveranstaltung kann ich ohne Probleme mit den Lernenden reden und die Änderungen verteidigen. In E-Learning Kursen bekommen erstens nie alle Lernende von den Änderungen mit (z.B. indem die E-Mail Notifikation ausgestellt ist) und es ist ungleich schwerer die Änderungen verständlich zu rechtfertigen. Zum einen können die Lernenden fast nie synchron zusammengeschlossen werden, zum anderen ist die Wahrscheinlichkeit bei mehr Lernenden deutlich größer, dass es Widerstand gegen die Änderungen geben wird. Genauso wie eine Töpferstück nicht mehr verändert werden kann, wenn es gebrannt wurde, ist ein E-Learning Kurs unveränderbar, wenn er in seiner ersten Implementation unter die Lernenden gebracht wird. Genau daher ist es enorm wichtig, Constructive Alignment herzustellen, bevor der Kurs veröffentlicht wird.

Der zweite Grund liegt an den Lernenden. In klassischen E-Learning Kursen lernen Lernende alleine vor dem Laptop. In etwa so wie wir alleine häufig in unserem Job arbeiten. SoftwareentwicklerInnen haben allerdings schon lange begriffen, dass wir effektiver arbeiten, wenn wir mit einer anderen Person zusammen arbeiten. Beispielsweise gibt es in vielen Firmen Paarprogrammierung. Zwei Personen sitzen nebeneinander und programmieren gemeinsam. Der Vorteil dieser Idee ist, dass wir in einer Zweiergruppe fokussierter bei der Sache sind. Wir nehmen weniger häufig unser Smartphone in die Hand und surfen weniger oft im Internet, wenn wir den Fokus verlieren. Übertragen auf E-Learning Kurse zwingt uns eine Präsenzveranstaltung häufig fokussierter an der Lehrveranstaltung teilzunehmen. Alleine sind Lernende schneller dazu verleitet, Lerninhalte zu überspringen und sich den Prüfungsaufgaben zuzuwenden. Wenn die Prüfungsformen dann nicht konstruktiv sind, das heißt so einfach gestaltet sind, dass sie Lernende nicht zwingen nachzudenken, leidet das Lernen. Wir werden daher ein klein wenig mehr zu Roberts als zu Susans in E-Learning Kursen. Um dieser Tendenz zu entgehen, ist es in E-Learning Kursen umso dringlicher Constructive Alignment herzustellen. Wir müssen Lernende dazu bringen, die Lehr- und Lernaktivitäten anzugehen. Die beste Methode hierfür ist es, die Prüfungsmethoden mit den Aktivitäten zu verzahnen.

Constructive Alignment in E-Learning Kursen herstellen

Um die Verzahnung der drei Bausteine so eng wie möglich zu gestalten, sollten wir wie folgt vorgehen. Zunächst definieren wir die intendierten Lernziele. Anschließend gestalten wir die Prüfungsmethoden und zum Schluss überlegen wir uns Lehr- und Lernmethoden, die auf die Ziele und die Prüfungsmethoden abgestimmt sind. Ganz wichtig für Biggs sind die Verben in den Lernzielen: "Once we have sorted out the ILOs, we design TLAs that are likely to encourage students to engage the verbs that are made explicit in the ILOs, thus optimizing the chances that the intended outcomes will be achieved. Next, we select assessment tasks that will tell us whether and how well each student can meet the criteria expressed in the ILOs. Again, this is done by embedding the verbs in the ILOs in the assessment tasks. ILOs, teaching and assessment are now aligned, using the verbs in the ILOs as markers for alignment." (Biggs, 2007, S. 60) . Beginnen wir mit den Lernzielen.

Würde man Lehrende nachts aufwecken und sie zwingen spontan ein Lernziel zu formulieren, würden sie sagen: "Die Lernenden sollen lernen ...", "die Lernenden sollen verstehen wie ...", "der Kurs behandelt die zentralen ....". Tatsächlich sind dies die häufigsten Verben für Lernziele in E-Learning Kursen. Nur, wie prüfen wir, ob jemand etwas gelernt, verstanden oder behandelt hat? Die Antwort ist gar nicht, da sie nicht prüfbar sind. Für Biggs ist dies eines der ersten Kriterien guter Lernziele. Wir müssen Verben verwenden, die Lernende ausführen können und die wir beobachten können. Wir wollen, dass Lernende etwas erklären, nennen, entwickeln oder auch kreieren können. Der bereits beschriebene Kurs Product Manager von Udacity setzt dieses Prinzip gut um: "You will develop an execution timeline that handles competing priorities". Ob jemand etwas entwickeln kann oder nicht lässt sich prüfen. Allerdings sagen sie auch: You will "learn how to build tests to enhance product features based on market data". Das Verb lernen ist nicht prüfbar, da es ein interner Prozess ist. Die erste Bedingung für Constructive Alignment ist daher, dass wir Verben wählen, welche prüfbar sind. Die zweite Bedingung ist, dass diese Verben taxonomisch hoch angeordnet sind. Dies ist der konstruktive Teil im Begriff Constructive Alignment. Nennen ist kein taxonomisch hohes Verb. Du musst dein Kopf nicht zerreißen, um den spanischen Begriff für Tisch aufzusagen. Analysieren allerdings schon, da es von dir verlangt ein Konzept in seine Einzelteile aufzugliedern. Wenn ich beispielsweise in der Lage sein soll, die Verteidigungstaktik einer Fußballmannschaft zu analysieren, muss ich in der Lage sein deren taktische Formation heraus zu lesen, sowie die Laufwege der Verteidiger und die Rolle des Torwarts beschreiben zu können. Als Gedankenstütze könnten wir auch sagen, dass wir Tätigkeiten in Lernzielen beschreiben müssen, die Lernende nur mit einem gewissen kognitiven Aufwand zeigen können. Würde mir jemand kommunizieren, dass mich ein Trainingsprogramm dazu bringt einen Handstand für 10 Sekunden zu halten, müsste ich enorm viel Zeit und Konzentration aufwenden, dieses Ziel zu erreichen. Das heißt, ob ein Lernziel konstruktiv ist, hängt von den Vorkenntnissen der Lernenden ab. Bei der Formulierung der intendierten Lernziele sollten die Verben mit einem Inhalt und einem Kontext verbunden werden. Zum Beispiel: "Nach dem Kurs kannst du im Detail erklären [Verb] warum die Ozonschicht [Inhalt] wichtig für das Wohlergehen der Menschen ist [Kontext]". Oder: *Nach dem Kurs kannst du eine Powerpoint [Inhalt] entwerfen [Verb], welche die Gestaltprinzipien des Multimedia Learning beachtet [Kontext]". Weniger ist dabei mehr. Kurse sollten nicht mehr als fünf oder sechs intendierte Lernziele umfassen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass nicht ausreichend Lehr- und Lernmethoden verwendet werden können, um diese Ziele zu erreichen.

Nachdem wir die intendierten Lernziele definiert haben, überlegen wir uns die Prüfungsmethoden. Während die Lernziele meist der Fokus der Lehrkräfte sind, sind die Prüfungsmethoden der Fokus der Lernenden: "We teachers might see the intended learning outcomes as the central pillar in an aligned teaching system, but our students see otherwise: ‘From our students’ point of view, assessment always defines the actual curriculum’ (Ramsden 1992: 187)." (Biggs, 2007, S. 169). Als EntwicklerInnen von E-Learning Produkten dürfen wir daher nie vergessen, wie verhaltensleitend unsere Prüfungsmethoden sind. Es ist daher essentiell, dass die Prüfungsmethoden die Verben ansprechen, welche wir durch die Ziele definiert haben. Wer beispielsweise möchte, dass Lernende in der Lage sind ein Buch zu interpretieren, sollte keine Multiple-Choice Fragen verwenden, um die Interpretationsfähigkeit der Lernenden zu testen. Eine äußerst beliebte Möglichkeit, um konstruktive Lernziele zu prüfen, sind Projekte. Projekte erlauben es uns zunächst direkt die Verben aus den Lernzielen anzusprechen (z.B. eine Webseite bauen können). Zudem lassen sich für Projekte sehr gut Bewertungsraster verwenden (z.B. dieses Bewertungsraster von Udacity.

Im letzten Schritt werden die Lehr- und Lernmethoden definiert. Jede Lehr- und Lernmethode sollte eines der Verben der intendierten Lernziele aktivieren. Stell dir beispielsweise vor, dein intendiertes Lernziel ist, dass Lernende die Erde im Sonnensystem identifizieren können sollen. Eine Lernaktivität könnte folgendermaßen aussehen:

  • Du erstellst ein instruktionales Video, bei dem du die Verteilung von Planeten in unserem Sonnensystem erklärst. Bei dem Video verzichtest du auf Details, da die räumliche Position der Planeten für dein Ziel zentral ist.
  • Du gibst Lernenden eine 3-D Simulation, mit der sie die Verteilung der Planeten untersuchen können.
  • Du verlangst von den Lernenden, dass sie das Planetensystem aus ihrem Gedächtnis nachzeichnen und auf die Plattform hochladen. Zudem sollen die Lernenden jeden Planeten auf der Zeichnung benennen.

Jedes dieser Ziele spricht das Verb identifizieren in einer anderen Art und Weise an. Eine nötige Konsequenz der Aktivierung dieser Verben ist zudem, dass keine Lehr- und Lernmethoden verwendet werden sollten, die nichts mit dem Lernziel zu tun haben. Dies wird häufig als Weeding bezeichnet Ibrahim et al., 2012. Denn häufig kommt es vor, dass EntwicklerInnen von E-Learning Produkten das Bedürfnis haben, ihr Wissen als Ablageort in einen E-Learning Kurs zu packen. Dies ist allerdings nicht im Sinne der Didaktik und des Constructive Alignment, da irrelevante Inhalte weder mit den Zielen noch den Prüfungsmethoden in Verbindung stehen. Wir sollten daher nur diejenigen Inhalte unterrichten, die mit unseren Zielen in Verbindung stehen.

Ein Beispiel für gut umgesetztes Constructive Alignment

Zum Schluss dieses Moduls möchte ich den Bereits beschriebenen Kurs Become a Product Manager von Udacity etwas genauer besprechen, da der Kurs die Idee des Constructive Alignment konsequent umsetzt. Betrachten wir zunächst nochmal die intendierten Lernziele des Kurses: "You will learn how to define product strategy and KPIs based on market analysis, pitch a product vision to get stakeholder buy-in, and design a user-centered prototype that adheres to engineering constraints. Then, you will develop an execution timeline that handles competing priorities, communicate a product roadmap that builds consensus amongst internal stakeholders, and create a comprehensive go-to-market plan based on product KPIs. Finally, once launching a product into the market, you’ll learn how to build tests to enhance product features based on market data.". Achten wir zunächst auf die Verben, welche für diese Ziele verwendet werden: Lernende werden eine Produktstrategie definieren, eine Vision für ein Produkt pitchen, einen Prototypen designen. Um Constructive Alignment umzusetzen, müssen diese Verben in den Lehr- und Lernmethoden sowie den Prüfungsmethoden aktiviert werden. Der Kurs ist kostenpflichtig und erlaubt daher keinen Einblick in die Lehr- und Lernmethoden. Allerdings sind die Lehr- und Lernmethoden sowie die Prüfungsmethoden ausführlich in einem Handout beschrieben. Dort steht, dass Lernende verschiedene Projekte im Verlaufe des Kurses umsetzen werden. Das erste Projekt umfasst folgende Tätigkeiten: "The inception of any product that gets built starts with a vision and a product manager that rallies stakeholders behind that vision. In this project, you will choose to act as a product manager for one of four top technology companies and develop a compelling pitch for the development of a new product. You’ll be provided a business scenario relevant to each of the four companies and based on the provided business scenario of the company you choose, you will perform primary and secondary market research to identify target users and size the market opportunity for a new product. Then, you will compile your analysis into a pitch deck and present the vision of your product to business stakeholders". Erneut tauchen die Verben aus den Zielen in der Prüfungsmethoden der Projekte auf. Das Ziel ist es eine Produktstrategie zu definieren und im Projekt setzen die Lernenden eine Marktrecherche um und identifizieren ihre Zielgruppe. Der Kurs selbst ist durch Formen der direkten Instruktion und durch Projekte aufgebaut. In der direkten Instruktion werden erneut Inhalte besprochen, die in den Zielen vorgeben sind:

  • "Describe various customer discovery techniques for gathering requirements"
  • "Define and craft compelling vision for a new product"
  • "Build a Business Model Canvas for a product opportunity"
  • "Define key performance indicators (KPIs) that align product strategy to organizational goals"

Lernende, die diesen Kurs bestehen wollen, werden zwangsläufig die intendierten Lernziele erreichen, da die Prüfungsmethoden und die Lehr- und Lernmethoden äußerst eng mit diesen Zielen verbunden sind. Ebenso sind die Ziele konstruktiv (contructive alignment) und regen kognitiv anspruchsvolle Lernprozesse an. Lernende wie Robert werden daher trotz ihres Surface Approaches auf ein anderes Level gehoben, da der Kurs lernförderliche Aktivitäten unterstützt. Ebenso werden Lernende wie Susan von diesem Kurs profitieren, da sie ohnehin die nötige Lernvoraussetzungen mitbringen.

Zusammenfassung

Constructive Alignment von John Biggs ist eines der wichtigsten und flexibelsten Prinzipien für E-Learning Produkte: Die Verzahnung der intendierten Lernziele mit den Lehr- und Lernaktivitäten und den Prüfungsmethoden. Je besser diese drei Elemente verzahnt sind, desto mehr nehmen Lernende aus E-Learning Kursen mit. Der Grund liegt darin, dass Constructive Alignment die Lebenswelt der Lernenden ernst nimmt. Diese Lebenswelt orientiert sich an den Prüfungsmethoden. Indem wir die Prüfungsmethoden mit den Lernzielen und den Lehr- und Lernaufgaben sinnvoll miteinander verzahnen, verhindern wir, dass Lernende oberflächliche Lernstrategien verwenden.

Weiterführende Literatur

Einführende Literatur

Biggs, J. (2021). Constructive Alignment. https://www.johnbiggs.com.au/academic/constructive-alignment/

Fachliteratur

Biggs, J. (1996). Enhancing teaching through constructive alignment. Higher Education, 32(3), 347-364. https://doi.org/10.1007/BF00138871

Biggs, J. (1999). What the student does: Teaching for enhanced learning. Higher Education Research & Development, 18(1), 57-75. https://doi.org/10.1080/0729436990180105

Biggs, J. B. (2014). Teaching for quality learning at university: What the student does. McGraw-hill Education.